Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters
Arbeitnehmereigenschaft eines Praxisvertreters
von RA, FA ArbeitsR, MedizinR, Handels- und GesellschaftsR Benedikt Büchling, Hagen, kanzlei-am-aerztehaus.de
Ein auf Basis eines „Praxisvertretervertrags“ angestellter Facharzt ist als Arbeitnehmer einzustufen, wenn er kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trägt, wie dies für Selbstständige typisch ist. Dass der Praxisvertreter die Tätigkeit innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten nach eigenem Ermessen gestalten konnte und IGeL-Verträge und Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen hatte, liegt an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Dies entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln (Beschluss vom 06.05.2022, Az. 9 Ta 18/22).
Sachverhalt
Der klagende Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten war auf Basis eines sog „Praxisvertretervertrags“ in der Praxis der beklagten Dermatologin mit den Zusatzbezeichnungen Allergologie und Phlebologie beschäftigt. Der Stundensatz betrug 100 Euro, hinzu kam eine Umsatzbeteiligung in Höhe von 50 Prozent des erbrachten oder verordneten IGeL-Umsatzes. Der Vertrag sah u. a. vor, dass der Praxisvertreter freiberuflich tätig wird. Die Lage der Arbeitszeit wurde auf Montag bis Donnerstag jeweils mit konkreten Arbeitszeiten vertraglich festgelegt. Für Streitigkeiten vereinbarten die Parteien den ordentlichen Rechtsweg. Nachdem die Praxisinhaberin dieses Vertragsverhältnis außerordentlich kündigte und ein Hausverbot aussprach, erhob der Praxisvertreter Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht (ArbG). Die Praxisinhaberin rügte die Zuständigkeit des ArbG. Da sich das ArbG aufgrund der Arbeitnehmereigenschaft des Praxisvertreters für sachlich zuständig hielt, legte die Praxisinhaberin sofortige Beschwerde zum LAG ein.
Entscheidung
Auch das LAG bestätigte die Rechtsauffassung des ArbG und wies die Beschwerde der Praxisinhaberin als unbegründet zurück. Zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden. Daran ändere auch die Bezeichnung des Vertrages als „Praxisvertretungsvertrag” nichts. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse könnten nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Die Arbeitnehmereigenschaft des Praxisvertreters setze nach § 611a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) voraus, dass er im Dienste der Praxisinhaberin zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet war. Dies sei aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen. Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen war der Praxisvertreter nicht berechtigt, seine Arbeitszeiten frei einzuteilen. Sie seien ihm detailliert einschließlich der Lage und Dauer der Pausen für insgesamt vier Arbeitstage/Woche vorgegeben. Dass er die Vertretung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten nach eigenem Ermessen gestalten konnte und IGeL-Verträge nach eigener Entscheidung abgeschlossen hatte, liege an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spreche nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Ärzte seien bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Hieraus könne nicht auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten könne das Weisungsrecht auf das Stärkste eingeschränkt sein. Entscheidend sei, dass der Praxisvertreter kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trug. Daran ändere auch die Umsatzbeteiligung an den IGeL nichts, da sie keine wirkliche unternehmerische Chance darstelle.
Fazit |
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Die vorliegende Entscheidung entspricht der Rechtsprechungstendenz des Bundessozialgerichts (BSG; vgl. Urteil vom 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R. Auch in dieser Entscheidung hatte das BSG im Fall einer Berufsausübungsgemeinschaft eine Praxisvertretung als eine abhängige Beschäftigung im Wege der Gesamtwürdigung des Einzelfalls eingestuft. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung sind u. a. folgende Kriterien maßgeblich: Der Eingliederung in einen fremden „Arztbetrieb“ kann es zwar entgegenstehen, wenn ein Arztvertreter für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers einnimmt und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen erfüllt. Dies wird aber regelmäßig nicht der Fall sein, da ein Praxisvertreter lediglich die ärztlichen Leistungen vertretungsweise erbringt und keine Vertretung in der Rechtsstellung der Mitglieder der Gemeinschaftspraxis leistet. Die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit erteilt der Vertretung auf „freiberuflicher Basis“ in einer Arztpraxis damit eine Absage. Aufgrund erheblicher Risiken (Sozialversicherungspflicht) bis hin zur strafrechtlichen Relevanz (§§ 263, 266a StGB) sollten Praxisinhaber daher dringend von entsprechenden Gestaltungen Abstand nehmen. |