Recht,

Individuelle Praxisbesonderheiten erfolgreich geltend machen

von RAin, FAin MedR Sabine Warnebier, Münster, voss-medizinrecht.de
Die Zahl der Regresse in Deutschland ist laut Angaben der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) tendenziell rückläufig. Sollten Sie sich dennoch mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung konfrontiert sehen, können Sie Praxisbesonderheiten geltend machen, um Honorarkürzungen zu vermeiden. Im Beitrag erfahren Sie, wie Sie Ihre Rechte im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgreich wahrnehmen.

Erklärungen für Abweichungen

Geprüft wird i. d. R. ab der Überschreitung bestimmter prozentualer Abweichungen zu den Durchschnittswerten der Fachgruppe. Der dahinterstehende und grundlegende Gedanke der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist, dass die Patientenklientel einer Fachgruppe prinzipiell homogen und damit auch vergleichbar ist. Werden die Durchschnittswerte signifikant überschritten, wird unterstellt, dass den Abweichungen eine unwirtschaftliche Behandlungs- oder Verordnungsweise zugrunde liegt. Diese Vermutung kann entkräftet bzw. widerlegt werden, wenn sogenannte „Praxisbesonderheiten“ vorliegen, also objektiv nachvollziehbare Gründe, die zu dem auffälligen Abrechnungs- bzw. Verordnungsverhalten geführt haben.

Merke
Eine Person, die keinen Nachweis einer Immunisierung und kein ärzt-liches Zeugnis darüber vorlegt, dass sie aufgrund einer medizini-schen Kontraindikation nicht ge-impft werden kann, darf nicht in ei-ner Arztpraxis beschäftigt werden.

Individuelle Praxisbesonderheiten im Fokus

Neben diesen anerkannten Praxisbesonderheiten können jedoch auch individuelle Praxisbesonderheiten geltend gemacht werden. Solche sind zu berücksichtigen, wenn in der betreffenden Praxis objektive Umstände vorliegen, welche die Überschreitungswerte erklären bzw. rechtfertigen. Ist dies der Fall und wird die Praxisbesonderheit wirksam vorgetragen und nachgewiesen, haben die Ausschüsse die hierauf entfallenden Kosten bzw. Abrechnungspositionen aus den Statistiken herauszurechnen, sodass sich auch ein möglicher Regress entsprechend reduziert. Sinken die Werte gar in den nicht kürzungsrelevanten Bereich, ist ein möglicher Regress in aller Regel vom Tisch.

Unterschiede in der Patientenklientel

Auf der ersten Stufe muss daher geprüft werden, ob eine relevante Praxisbesonderheit vorliegt. Eine solche ist grundsätzlich gegeben, wenn in der Patientenklientel der Praxis Abweichungen zur durchschnittlichen Patientenklientel der Fachgruppe vorliegen (z. B. viele Karzinom-Patienten oder solche mit schwerer Psoriasis) und hierdurch Mehrkosten verursacht wurden.

Ausdrücklich keine Praxisbesonderheit wird von den Gerichten anerkannt, wenn sich die vorgetragenen Umstände ausschließlich

  • auf den Arzt,
  • dessen Ausbildung oder
  • auf die Praxisausstattung beziehen.

Der Übergang bei der Beurteilung dieser Frage kann allerdings fließend sein, da sich diverse Ausbildungs- und Tätigkeitsschwerpunkte (z. B. Onkologie, Allergologie) im Laufe der Zeit häufig auch in der Praxisklientel abbilden.

Wirksamer Vortrag

Liegt eine Praxisbesonderheit in diesem Sinne vor, muss diese auf der zweiten Stufe den Ausschüssen gegenüber wirksam vorgetragen und nachgewiesen werden.

Es muss zudem der ursächliche Zusammenhang (Kausalität) zwischen Praxisbesonderheit und verursachtem Mehraufwand dargestellt werden. Dies geschieht i. d. R. mittels Listen, aus denen sich

  • die einzelnen Behandlungsfälle,
  • die zugrunde liegenden Diagnosen
  • sowie entweder
    • die hierdurch verursachten Leistungsziffern oder
    • die verordneten Medikamente inklusive der hierdurch konkret verursachten Kosten ergeben.

Die Ausschüsse müssen in die Lage versetzt werden, anhand der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen das Vorliegen der Praxisbesonderheit an sich, aber auch deren ganz konkrete Auswirkungen auf das Abrechnungs- bzw. Verordnungsbild der Praxis zu prüfen und zu bewerten. Erst dann werden die hierauf entfallenden Kosten auch entsprechend berücksichtigt.

Nicht ausreichend sind aus diesen Gründen allgemeine Hinweise wie

  • „Ich behandle viele Patienten mit Allergien“ oder
  • „Viele meiner Patienten leiden unter schwerer Psoriasis/Neurodermitis“.

Auch der pauschale Hinweis, es liege eine „Landarztpraxis“ vor, wird von den Sozialgerichten nicht akzeptiert.

Es sind die vorliegenden Besonderheiten vielmehr konkret zu benennen und deren Auswirkungen auf das Verordnungs- bzw. Behandlungsverhalten dezidiert darzustellen.

Fristen beachten, Sachvortrag vor Ausschüssen anstreben

Zu beachten ist auch, dass der gesamte Sachvortrag spätestens im Verfahren vor den Beschwerdeausschüssen erfolgen muss. Denn ein ggf. nachfolgendes Sozialgericht prüft nur, ob die Entscheidung des Beschwerdeausschusses unter Berücksichtigung der Informationen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlagen (!), vertretbar war: Ein neuer Sachvortrag z. B. zu den konkreten Auswirkungen der vorgetragenen Praxisbesonderheit, kann daher im gerichtlichen Verfahren nicht mehr erfolgen. Aus diesem Grund sollte man daher auch Vorsicht walten lassen, wenn die Prüfungsstelle – als erste Verwaltungsinstanz – keinen Regress verhängt, die Krankenkassen hiergegen jedoch Widerspruch einlegen.

Sollte ein Bescheid der Prüfungsstelle nicht den oben dargestellten Grundsätzen entsprechen und z. B. eine vorgetragene Praxisbesonderheit ohne weitere Nachweise anerkannt worden sein, könnte diese Entscheidung durch den Beschwerdeausschuss aufgehoben werden. 

Hat die betroffene Praxis in einem solchen Fall nicht vorsorglich im Beschwerdeverfahren die notwendigen Unterlagen vorgelegt und möchte gegen den (sie erstmalig belastenden) Bescheid des Beschwerdeausschusses angehen, ist aus den o. g. Gründen der entsprechende (neue) Sachvortrag im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen. Legen Sie also alle Informationen vor, die das Vorliegen der Praxisbesonderheit an sich, und deren ganz konkrete Auswirkungen auf das Abrechnungs- bzw. Verordnungsbild der Praxis beweisen.

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